Religiöser Missbrauch

Inge Tempelmann legt mit „Religiöser Missbrauch – Ein Handbuch für Betroffene und Berater“ ein umfassendes Werk vor, das sich mit einem Thema auseinandersetzt, das sowohl die Betroffenen als auch die Kirche und Gesellschaft herausfordert: religiöser Missbrauch.

 

Wer ist die Autorin?

Inge Tempelmann ist eine erfahrene Expertin auf dem Gebiet des religiösen Missbrauchs. Als Referentin und Moderatorin verschiedener bundesweiter Arbeitstreffen hat sie viele Betroffene auf ihrem Weg zu Heilung und Befreiung begleitet. In ihrem systemischen Ansatz geht sie auf die komplexen Dynamiken von Missbrauch und Macht ein und vermittelt betroffenen Gruppen wie auch Beratern wichtige Erkenntnisse und Perspektiven. Mit ihrem Werk schafft Tempelmann Raum für eine notwendige Aufarbeitung und stärkt damit Betroffene, Berater und Verantwortliche in christlichen Leitungsfunktionen.

 

Worum geht es im Buch?

Das Handbuch deckt ein breites Themenspektrum ab und beschreibt den Missbrauch geistlicher Macht in verschiedenen Formen und Kontexten. Zu Beginn wird erläutert, was religiöser Missbrauch überhaupt ist, und es werden historische wie aktuelle Beispiele angeführt, die eine Spannbreite an missbräuchlichen Dynamiken in kirchlichen Gemeinschaften darstellen. Tempelmann untersucht Gruppen, die besonders anfällig für solche Missbrauchsstrukturen sind, und zeigt auf, wie die Überhöhung von Leitungsfunktionen und die Verherrlichung von geistlicher Autorität in bestimmte Missbrauchsfälle hineinspielen können.

 

Zu den zentralen Themen gehören außerdem:

  • Gesichter religiösen Missbrauchs: Wie zeigt sich Missbrauch in unterschiedlichen Gemeinden und religiösen Kreisen? Tempelmann schildert die Strukturen und Dynamiken auf verständliche und zugängliche Weise.
  • Gründe für religiösen Missbrauch: Sie beschreibt die Einflüsse und Praktiken, durch die Menschen in Abhängigkeitsverhältnisse geraten, wie zum Beispiel Gedankenkontrolle und manipulative Glaubensinhalte.
  • Umgang mit Missbrauch: Eine intensive Beschäftigung mit der Frage, wie Gemeinden und Verantwortliche Missbrauch erkennen und aufarbeiten können, bildet einen weiteren Schwerpunkt. Tempelmann erläutert auch die Rolle von Leitungsstrukturen und das Verhältnis von Führung und Verantwortung.
  • Verwundungen und Heilungswege: Die Verarbeitung von Missbrauchserfahrungen und Schritte zur Heilung finden ihren Raum. Durch persönliche Erfahrungsberichte zeigt die Autorin konkrete Wege zur Überwindung der traumatischen Erlebnisse auf.

Ein großer Pluspunkt des Buches ist, dass es Glaubensinhalte stets durch die Linse der Bibel beurteilt, während es psychologische und systemische Erkenntnisse zur Veranschaulichung und als zusätzliche Erklärungen anführt. „Jesus ging mit religiösem Missbrauch angstfrei um.“ Damit bietet das Buch nicht nur eine theologisch fundierte Analyse, sondern ermöglicht auch seelsorgerische Hilfestellung.

 

Wer sollte das Buch lesen?

Das Handbuch ist für all jene, die direkt oder indirekt mit religiösem Missbrauch konfrontiert sind – sei es als Betroffene, Seelsorger oder Berater. Besonders für Leiter und Verantwortliche in kirchlichen Gemeinschaften bietet es wertvolle Einblicke, um Machtstrukturen und Leitungsstile zu reflektieren und sicherzustellen, dass ihre Gemeinde ein Ort der Geborgenheit und des Vertrauens bleibt. Auch Betroffene und deren Angehörige finden in diesem Buch wertvolle Anregungen für den Umgang mit traumatischen Erlebnissen und für die Möglichkeit der Heilung.

 

Was gibt es Kritisches?

Der tiefgehende Inhalt und die Fülle an Themen machen das Buch wertvoll, aber auch herausfordernd. Für Leser, die bisher wenig Berührungspunkte mit systemischen Ansätzen und psychologischen Aspekten hatten, kann das Buch recht anspruchsvoll sein. Ein Glossar oder eine zusätzliche Strukturierung könnten hier hilfreich sein, um auch weniger erfahrenen Lesern den Zugang zu erleichtern.

 

Was bleibt?

„Religiöser Missbrauch“ von Inge Tempelmann ist ein fundiertes und mutiges Werk, das sich einem vielschichtigen und schwierigen Thema annimmt. Es vermittelt Betroffenen Mut und ermöglicht ihnen eine neue Perspektive auf ihre schmerzlichen Erfahrungen. Gleichzeitig gibt das Buch Verantwortlichen in der Kirche und Gesellschaft praktische Werkzeuge an die Hand, um Missbrauch frühzeitig zu erkennen und ihre Strukturen transparent und gesund zu gestalten.

Insgesamt ist die Lektüre eine Einladung, tiefer zu blicken, Missbrauch in religiösen Kontexten zu verstehen und verantwortungsvoll darauf zu reagieren. Die autoritäre und missbräuchliche Ausübung von Macht kann das Leben und den Glauben der Betroffenen stark beeinträchtigen – und so ist es Tempelmanns Anliegen, aufzuzeigen, wie Heilung, Verantwortungsübernahme und eine biblisch fundierte Rückkehr zu gesunder geistlicher Autorität möglich sind.

Tempelmanns feinfühliger Schreibstil und die biblisch fundierte Grundlage ihres Ansatzes machen das Buch zu einem wertvollen Werkzeug für alle, die das Leid von Missbrauchserfahrungen nicht nur verstehen, sondern auch lindern und zukünftige Fälle verhindern möchten. „Gott wusste von Anfang an um das Risiko des Missbrauchs im Frommen gewandt, weil er den freien Willen der Menschen vor Augen hatte, die Menschen würden sehr unterschiedlich mit dem umgehen, was Jesus um Ihretwillen alles gekostet hatte. Gott begab sich in ihre Hände, macht er sich verletzlich, dennoch hielt dieses Wissen ihn nicht davon ab, sein Herz auch weiter für die Menschen schlagen zu lassen. Wir können davon ausgehen, dass sich daran nichts geändert hat. Ich ahne, dass es besonders für die schlägt, die in seinem Namen unter religiösen Vorzeichen bedrängt, verbogen, beschuldigt, verklagt, bedroht, beraubt und verletzt wurden, für die die gute Nachricht des Evangeliums zu einer schlechten wurde.“


Das Buch: 

  • Tempelmann, I. (2024): Religiöser Missbrauch. Auswege aus frommer Gewalt. Ein Handbuch für Betroffene und Berater, SCM  Hänssler, 464 Seiten, ISBN: 978-3-77516-205-0, Preis: 28,00 €

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