Die Jahreslosung 2023 wirkt schön und einladend, doch Hans-Arved Willberg entdeckt in „Du bist ein Gott, der mich sieht“ die Ambivalenz der Vorstellung, von Gott gesehen zu werden.
Wer ist der Autor?
Dr. phil. Hans-Arved Willberg ist Sozial- und Verhaltenswissenschaftler und studierte Philosophie und Theologie. Er leitet das Institut für Spiritualität und Achtsamkeit und ist Autor zahlreicher Artikel und Bücher. Er lebt bei Karlsruhe, ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Worum geht es in dem Buch?
„Das, was mir so Sorge macht, ist die pseudochristliche Anmaßung, direkten Einblick in das Wesen und Walten der göttlichen Liebe zu haben und von dorther vorzuschreiben, wie die menschliche Liebe auszusehen hat.“ Diese Aussage umschreibt, worum es dem Autor geht. Ihm zufolge ist die Jahreslosung 2023 nur dann ein wirklicher Wegweiser, wenn man seine Existenzangst ernst nimmt und in das Nachdenken über sie die Geschichte um Hagar einbeziehen. „Die Geschichte der Kirche quillt geradezu über von Missbrauch der Inanspruchnahme göttlicher Liebe zulasten der menschlichen Liebe.“ Deshalb ist es zu einseitig, wenn man diese Geschichte lediglich als Wort des Trostes und Ermutigung auslegt. „Mit dem Hagarsymbol geht es um das Selbstverständnis des Christentums schlechthin unter wesentlicher Berücksichtigung des Verhältnisses der Christen zu den Juden.“ Und so beleuchtet der Verfasser die Hagargeschichte aus der Perspektive der alttestamentlichen Geschichte und dem, was aus dieser Geschichte wurde. „Das soll uns helfen, klarer zu sehen, was wir heute unter gesunder Spiritualität zu verstehen haben.“
Wer sollte das Buch lesen?
Aufgrund seiner teilweisen nicht so leichten Sprache, sollte man sich schon etwas theologische „Vorbildung“ mitbringen, um die einzelnen theologischen Aspekte reflektieren zu können (z. B. Allegorese, teleologisches Geschichtsverständnis, dogmatischer Rigorismus, …).
Was gibt es Kritisches?
Die Lektüre möchte einerseits wachrütteln. „Die Zeit ist überreif dafür, dass wir erkennbare Lernfortschritte darin machen, einander interpersonal, interreligiös, interkulturell wirklich auf Augenhöhe zu begegnen, dass wir dem Bildungsziel, Perspektivübernahme auf der horizontalen Ebene zu lernen und einzuüben, sehr hohe Priorität geben, und dass wir unsere arroganten und ideologischen Vorurteile über „die da unten“ und „die da oben“ überwinden lernen, um ein Selbstbewusstsein zu pflegen, dem die eigene Würde genauso heilig ist wie die Würde der andern.“ Andererseits fällt eine starke Akzentuierung nach einem sozialen Evangelium auf, das sich in Liebe dem Nächsten zuwendet. „Nächstenliebe ist so wie die Liebe Gottes zu uns vor allem das freundliche, wertschätzende Sehen des andern Menschen, wozu wir Ansehen sagen.“
Weshalb sollte man das Buch lesen?
Nach der Lektüre wird man erkennen, wie der Autor darlegt, dass gesunde Spiritualität Angst als ein existenzielles Faktum besitzt, wobei die Trias Vertrauen, Hoffnung und Liebe demgegenüber steht. Der Glaube als Vertrauen ohne Schauen ist eine Herausforderung, die in der Personalität der universalen Liebe Gottes durch Jesus Christus verankert ist. Deshalb kann Religion nicht befreiend sein, wenn sie starrem Dogmatismus folgt. Vielmehr geht es um ein freiwilliges Befolgen christlicher Lebensregeln. Bonhoeffer nannte dies „Kirche für andere“, denn Priorität hat: Füreinander da sein als gelebte Gemeinschaft, um sich miteinander den Menschen zuzuwenden, die kein Ansehen haben und ihnen die Liebe Gottes – in der Person Jesu Christi – vorzustellen. Und so muss sich der Blick von der Jahreslosung hin zu meinem Gegenüber ändern.
Das Buch:
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Willberg, H.-A. (2023): Du bist ein Gott, der mich sieht. Zur Jahreslosung 2023, Mosaicstones Verlag, 81 Seiten, ISBN: 978-3-03965-001-9, Preis 17,90€
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