Hannah Arendt verfasste 1951 ein Grundlagenwerk über den Totalitarismus. Michael Desmet erläutert in „Die Psychologie des Totalitarismus“ wie es passieren konnte, dass wir uns heute an der Schwelle dazu befinden, wovor Arendt vor Jahrzehnten warnte.
Wer ist der Autor?
Mattias Desmet ist Professor für Klinische Psychologie an der Abteilung für Psychoanalyse und klinische Beratung der Universität Gent. Die Forschung der Abteilung ist stark klinisch und praxisorientiert ausgerichtet. In seinem Forschungsprogramm konzentriert er sich auf Prozess und Ergebnis psychoanalytischer Psychotherapie. Auf methodischer Ebene kombiniert er Einzelfallmethodik mit randomisierten Gruppendesigns und quantitative mit qualitativer Bewertung. Darüber hinaus arbeitet er als Klinischer Psychologe in seiner eigenen psychoanalytischen Praxis, veröffentlichte an die 50 wissenschaftliche Artikel und ist Autor von mehreren Büchern wie "The pursuit of objectivity in psychology" und "Lacan’s logic of subjectivity". Mattias Desmet ist außerdem einer der Gründer des Single Case Archive (www.singlecasearchive.com), einer Datenbank, die eine große Anzahl veröffentlichter Einzelfallstudien zum Verlauf und Ergebnis von Psychotherapie sammelt und kategorisiert.
Worum geht es in dem Buch?
Desmets Ausarbeitung verfolgt das Ziel, eine Lücke zu schließen, da er das Symptom des Totalitarismus analysiert und es in die breitere Logik des gesellschaftlichen Prozesses einordnet.
Im ersten Teil untersucht der Verfasser, wie das vorherrschende Menschen- und Weltbild – die mechanistisch-materialistische Ideologie – genau jenen gesellschaftlich-psychologischen Zustand erschafft, in dem Massenbildung und Totalitarismus gedeihen. „Letztendlich resultiert das in einer psychologisch erschöpften Bevölkerung, die sich nach einem absoluten Meister sehnt.“
Danach beschreibt Desmet den eigentlichen Prozess der Massenbildung und dessen Zusammenhang mit dem Totalitarismus. „Die Masse ist radikal intolerant gegenüber anderen Meinungen und hat einen starken Hang zu Autoritarismus.“
Abschließend wird im dritten Teil der Frage nachgegangen, wie das heutige Menschen- und Weltbild überwunden werden kann, sodass Totalitarismus als symptomatische Lösung überflüssig wird. „Die wirkliche Wende und Revolution, die sich in der Gesellschaft vollziehen muss, ist die Wende von der Rhetorik zur Wahrheit als Leitprinzip.“
Wer sollte das Buch lesen?
Desmet hat Leser vor Augen, die sich kritisch mit den Entwicklungen – nicht nur in den letzten zwei bis drei Jahren -, sondern der letzten Dekade auseinandersetzen wollen.
Was gibt es Kritisches?
Desmet gehört zu den sehr kritisch denkenden Analytikern. Allerdings ist seine These der Massenpsychose nicht unumstritten, denn das Konzept der Massenpsychose geht nicht nur davon aus, dass die „Massen“ oder „das Volk“ den Totalitarismus zumeist selbst verursacht habe, sondern fordert auch, diejenigen zu entlasten, die hinter den Kulissen auf globaler Ebene die Fäden ziehen, meint Peter Breggin.
Weshalb sollte man das Buch lesen?
Die Aspekte Desmets ergänzen das Narrativ der Masse, um eine interessante Blickrichtung, die hier und da sicherlich so manch einen Erklärungsansatz für aktuelle Entwicklungen bietet. Besonders hervorzuheben sind die Verknüpfungen zwischen Ahrendts Standardwerk und aktuellen Mechanismen. Wie so oft gilt es, sich als Leser mit dem Inhalt auseinanderzusetzen und sich selbst eine Meinung zu bilden. Desmet analysiert glasklar und formuliert sowohl scharfe Kritik als auch Ansätze, um dem Totalitarismus die Stirn zu bieten.
Das Buch:
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Desmet, M. (2022): Die Psychologie des Totalitarismus, Europa Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3-95890-542-9, Preis: 24,00€
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