Der fortschreitende Antisemitismus ist bedenklich. Deshalb gilt es sich mit dem Judentum und seiner Historie zu beschäftigen, um zu erkennen, wo die Wurzeln des christlichen Glaubens beheimatet sind. In „Das Neue Testament jüdisch erklärt“ liegt nun eine kommentierte Bibelausgabe des NT vor, welches dem Leser jüdische Sichtweisen aufzeigt.
Wer sind die Herausgeber?
Die Deutsche Bibelgesellschaft hat sich dem Projekt gewidmet und die englische Version ins Deutsche übersetzen lassen. „Wir haben erlebt, dass wir durch das Studium des Neuen Testaments zu besseren Juden geworden sind, da wir gelernt haben, klarer zu sehen, wie unsere eigene Geschichte mit christlicher Theologie und Geschichte verbunden ist – was wir gemeinsam haben und worin wir uns unterscheiden.“
Worum geht es in dem Buch?
Der vorliegenden Ausgabe wurde die Lutherübersetzung 2017 als biblische Textgrundlage hinzugefügt. Die Anmerkungen der jüdischen Autoren wurden an diese Bibelausgabe angepasst, denn im englischen Original liegt die New Revised Standard Version vor. „Jüdische Bibelwissenschaft und christliche Bibelwissenschaft begegnen sich heute auf der Ebene von Personen und Sachfragen. […] Dennoch werden sich durch die jeweilige religiöse und kulturelle Prägung unterschiedliche Perspektiven ergeben, die jedoch für die jeweils andere Seite immer wieder fruchtbar sein und den eigenen Horizont erweitern können.“
Neben der Kommentierung sind es aber v.a. die Essays, die das NT aus jüdischer Perspektive beleuchten. „Die Vertrautheit mit dem Neuen Testament hilft dabei zu erkennen, welche verschiedenen Optionen für Juden im ersten Jahrhundert möglich waren.“ Dazu dienen 85 Infoboxen – innerhalb des Textes -, in denen einzelne Fragestellungen vertieft werden. Sowohl die Kommentare als auch Essays heben dabei Verbindungen zwischen dem Neuen Testament und der späteren jüdischen Literatur hervor, damit der Leser nachverfolgen kann, wie sich Ideen und Konzepte im Lauf der Zeit entwickelt haben. Ziel der insgesamt mehr als 50 Aufsätze ist es „Mitglieder verschiedener religiöser Gemeinschaften zu einer tieferen Einsicht in unsere Gemeinsamkeiten wie unsere Unterschiede [zu verhelfen] – [damit] wir erkennen, wie wir trotz unserer Unterschiede besser zusammenleben können.“
Wer sollte das Buch lesen?
Die Ausgabe richtet sich an jene Leser, die Interesse für die jüdischen Wurzeln des Christentums haben. Aber auch all jene sind angesprochen, die sich mit Theologie beschäftigen und dem interreligiösen Dialog offen gegenüberstehen.
Was gibt es Kritisches?
Deutschland gilt als Ursprungsland der historisch-kritischen Auslegung, sowohl der Bibel als auch des Judentums. Dieser Tradition fühlen sich die Autoren verpflichtet, weshalb Kommentare diese Perspektive einnehmen. Beispielhaft wird die Jungfrauengeburt nicht verteidigt, sondern eine sexuelle Beziehung zwischen Joseph und Maria nicht ausgeschlossen. Hinsichtlich der Verbalinspiration betonen die Autoren die wissenschaftlichen Kontroversen. „In welchem Umfang die Evangelien und die Apostelgeschichte wiedergeben, ‚was wirklich geschah‘, wird auch weiterhin umstritten bleiben – genauso wie Traditionen, die in den Schriften Israels aufgezeichnet worden sind, wie z. B. die Schöpfungsgeschichte und die Geschichte vom Garten Eden, der Exodus oder die Wunder, die Daniel und seinen jüdischen Freunden in Babylon widerfuhren, zumindest diskussionswürdig sind.“ Der politische Kurs zeigt sich leider auch in der Genderschreibweise. So liest man in der Einleitung des Evangeliums nach Matthäus: „Manche Ausleger*innen sehen in dieser Struktur eine Anspielung auf den Pentateuch, ähnlich wie auch der Psalter in fünf Teilen untergliedert ist.“
Was bleibt?
Ohne Zweifel ist die jüdische Perspektive auf das Neue Testament horizonterweiternd. Gerade die Essays geben dem Leser einen Einblick in die jüdische Bibelwissenschaft. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Juden und Christen historisch nachzuvollziehen können helfen, den Dialog im Hier und Heute miteinander zu fördern. Gerade die Sichtweise auf Jesus Christus in den verschiedenen Zeitepochen ist bereichernd, offenbart aber zugleich auch das Problem: Jesus wird nicht als Messias angesehen. Unter diesem Aspekt ist es erfreulich, dass ein Essay sich dem Thema „Messianisches Judentum“ widmet. Insgesamt ist die Lektüre einzelner Essays hilfreich, um besser über das Judentum Bescheid zu wissen. Allerdings sollte man einen festen Stand im Wort Gottes und im christlichen Glauben haben, um nicht von theologischen Meinungen, die z. B. das Wunderwirken Gottes in der Menschheitsgeschichte ausschließen, negativ beeinflusst zu werden. Treffend hierfür steht: „Der liberale jüdische Zugang zum und der Einfluss auf den christlich-jüdischen Dialog enden nicht mit diesen Wegbereitern.“
Die Studienbibel
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Kraus, W. / Tilly, M. / Töllner, A. (Hrsg. 2021): Das Neue Testament jüdisch erklärt, Deutsche Bibelgesellschaft, 984 Seiten, ISBN: 978-3-438-03384-0, Preis: 68,00€
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