Viele von uns sind davon geprägt, dass der Mann eine leitende Funktion in Familie und Gemeinde gegenüber der Frau einnimmt. Doch ist dieses Hierarchiegefälle biblisch? Hans-Jörg Ronsdorf beschreibt in „Frauen vergebt uns“ ein alternatives Verständnis, das mehr die Gleichheit als die Hierarchie betont.
Wer ist der Autor?
Ronsdorf war 36 Jahre lang Teil einer geschlossenen bzw. exklusiven Brüderversammlung, auch als „Alte Versammlung“ bekannt. In diesen christlichen Gemeinden ist es üblich, dass die Frauen schweigen und sich nicht beteiligen. Nachdem er die Gemeinschaft verließ, wurde er Teil einer Gemeindebewegung im Allgäu, die Frauen erlaubte, sich in den Zusammenkünften laut zu beteiligen (Gebet, Lebenszeugnis, Liedvorschlag). Aus der persönlichen Not heraus studierte er die Schrift und seine Erkenntnis hat er in vorliegendem Buch entfaltet.
Worum geht es in dem Buch?
Der Autor möchte in seinem Buch unmissverständlich für die Gleichberechtigung der Frau in allen Bereichen plädieren. Einige Zitate verdeutlichen die Argumentation:
- „Ich halte die Gleichberechtigung für eine segensreiche Errungenschaft der modernen Demokratie.“
- „Es bedarf beider Geschlechter, um Gott zu repräsentieren und den Schöpfungsauftrag zu erfüllen.“
- „Ich plädiere für eine gabenorientierte Rollenverteilung, die sich nicht an kulturellen, gesellschaftlichen oder sozialen Vorgaben der Vergangenheit orientiert.“
Grundlegend für diese Erkenntnisse ist Ronsdorfs Verständnis der Schöpfung. „Ich bin davon überzeugt, dass ein Hierarchiegefälle Folge des Sündenfalles ist. Daran ist nichts zu beschönigen und das kann auch nicht christianisiert werden“. Mit diesem Blick beleuchtet der Verfasser nun die Stellen der Schrift, die sich über die Rolle von Mann und Frau auslassen.
In seinen Ausführungen ist Ronsdorf bemüht, auch historische Kontexte einzubeziehen. Ihm liegt es aber v. a. daran, die Bibel zu kontextualisieren, d. h. er möchte aufzeigen, „wie wir heute Gottes Gedanken in unserer ganz anderen Zeit leben können“. Schlussendlich kommt er zu der Erkenntnis: „Es gibt keine Hierarchie der Geschlechter! Auch nicht in der Gemeinde!“. Und so plädiert er u. a. dafür, dass Frauen auch in den Gemeindestunden lehren dürfen, denn „der Dienst der Führer, Leiter oder Ältesten in der Gemeinde, wozu auch das Lehren gehört, wird niemals als „herrschen“ bezeichnet“.
Wer sollte das Buch lesen?
Die Lektüre bietet Impulse für all jene, die sich mit der Frauenfrage intensiv auseinandersetzen wollen und dabei eine andere Perspektive als die bisher bekannte, einnehmen möchten. Dabei sind aber nur solche Leser angesprochen, die in den Gemeinden Verantwortung fühlen und tragen. „Diese sollten sich durch die Lektüre dieses Buches eine persönliche Überzeugung bilden und auf kommende Kontroversen vorbereitet werden, die leider vorhersagbar sind“.[1]
Was gibt es Konstruktives?
Der Leser wird durch die Lektüre dahin geführt, dass er die angelegten Unterschiede in der Schöpfung Gottes in einem neuen Licht sehen wird. „Die Bibel ist kein Lehrbuch für die Unterschiede von Mann und Frau“. So wird das, was Jahrhunderte Lehre der christlichen Gemeinde war, umgedeutet. „In diesem Buch argumentiere ich, dass eine hierarchische Unterordnung der Frau immer die Folge des Sündenfalls ist und in der ursprünglichen und ungefallenen Schöpfung nicht vorgesehen war. Das gilt auch dann, wenn Gottes Wort die Frauen zur Unterordnung auffordert“. Immer wieder zitiert Ronsdorf Autoren, die seine Sichtweise unterstützen und eher einem weniger konservativen (H.-M. Schmalenbach) bzw. emergenten Schriftverständnis (N. T. Wright) zuzuordnen sind.
Wie verändert das Buch das Glaubensleben?
Einerseits wird man über den einen oder anderen Gedanken stolpern und seine bisherige Glaubenspraxis hinterfragen. Andererseits – hier ist der Autor aber transparent, da er dies immer wieder betont – wird man von folgender Sichtweise u. U. überzeugt: „Ich werde nie mehr die Frauenverachtung griechischer Philosophie, auch keine judaistische Frauendiskriminierung und erst recht keine kirchliche Frauendiskriminierung akzeptieren oder in meinem Verantwortungsbereich dulden. Nicht die „Gleichbehandler“ von Mann und Frau denken und handeln weltlich. Es sind die, die Frauen gebieten zu schweigen, nicht zu lehren und leiten und keinerlei öffentliche Dienste zu tun.“ Eberhard Platte kommentiert treffend: „Wir haben uns einreden lassen, dass Mann und Frau nicht eine untrennbare Einheit sind, sondern gleichwertige Partner. Und wir denken, dass diese Partnerschaft auf demokratische Weise funktioniert. Damit aber haben wir das gottgewollte Konzept […] verlassen.“
Sollte man das Buch lesen?
Die Antwort fällt nicht so leicht, da es sich um ein emotional aufgeladenes Thema handelt. Dem Autor kann man attestieren, dass er nicht – so nach eigener Aussage - an einer Modernisierung der Gemeinde interessiert ist, sondern Einblick in seine Veränderung des Denkens gibt, die er zu Teilen vehement verteidigt. Beim Lesen tritt nach meinem Empfinden aber mehr die Prägung durch den Zeitgeist hervor, wodurch es zu einer Relativierung der biblischen Botschaft durch kulturelle Elemente kommt.
Stephan Isenbergs Worte passen zum Gesamteindruck des Buches: „Wer so denkt, macht in gewisser Weise Gott den Vorwurf, Er habe die Formulierungen in 1. Korinther 14 [u. a. Stellen] so gewählt, dass Gläubige über bald zwei Jahrtausende nicht erkannt haben, dass Paulus es dort gar nicht so gemeint hat, wie es der einfältige Leser versteht. Selbst als im 19. Jahrhundert besonders der Charakter und das Wesen der Gemeinde wieder ans Licht kamen, habe Gott versäumt, es klarzumachen, was der eigentliche Dienst der Schwestern in den Gemeindestunden beinhaltet. Scheinbar mussten wir erst durch die kulturelle Entwicklung zur Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft dahin geleitet werden, neu über dieses Thema nachzudenken, und dann brauchte es noch intensive Studien mit vielen geistigen Winkelzügen, bis wir erkannt haben, dass der Apostel Paulus gar nicht das gemeint habe, was er dort geschrieben hat. Das will man uns heute glaubend machen“.
Von daher kann ich das Buch nicht empfehlen, da es Gottes Schöpfungskonzept umdeutet und außer Kraft setzt, denn die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau wird verändert in eine kontextualisierte Gleichheit der Vielfalt.
Vielmehr empfehle ich für Interessierte:
- Platte, E. (2003): Heiße Eisen in den Gemeinden, CV Dillenburg.
- Jung, F. (2015): Frauen als Pastorinnen. Die Stellung der Frau nach Gottes Plan, Lichtzeichen Verlag.
- Isenberg, S. (2019): Sollten Schwestern schweigen? Prüfe die Argumente! Eine kritische Untersuchung des Buches „Sollten Schwestern schweigen“ von Philipp Nunn, Daniel Verlag.
- Strauch, A. (2021): Gleichwertig aber nicht gleichartig. Eine Einführung in das komplementäre Verständnis der Geschlechter, EBTC Verlag.
Das Buch:
-
Ronsdorf, H.-J. (2021): Frauen vergebt uns. Was wir Männer wiedergutmachen müssen. Zur Rolle von Frau und Mann (3. überarb. Aufl.), Selbstverlag, ISBN: 978-3-98207-715-5-8, Preis: 13,80€
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