Nimm und iss ...

Zur Etikette des Christseins gehört das Bibellesen. Doch wenn es um das Lesen biblischer Texte geht, gibt es eine ganz besondere Herausforderung. Es gilt sicherzustellen, dass der Text „als göttliche Offenbarung“ gelesen wird. Doch wie gelingt das angesichts der Betriebsamkeit des Lebens? Eugene H. Peterson, Gemeindepastor und emeritierter Professor für Spiritual Theology am Regen College in Vancouver (Kanada), möchte mit „Nimm und iss…“ das prägende Bibellesen dem Christen von Heute neu ins Gedächtnis rufen.

 

Peterson vertritt die Ansicht,  dass dem Teufel entgegenzuwirken heißt, „die Bibel angemessen und sorgfältig zu lesen“. Ihm geht es dabei aber nicht um eine intellektuelle Aneignung von Frömmigkeit. „Zwangsernährung ist vermutlich nicht der beste Weg, um die Einzigartigkeit des Bibellesens, des geistlichen Lesens, zu vermitteln“. „Vielmehr leben wir die Bibel, während wir sie lesen, erleben die Wechselwirkung zwischen Leben und Lesen. […] Die Bibel lesen und das Wort leben lassen sich nicht voneinander zu trennen. […] Das bedeutet, dass wir einem anderen ein Mitspracherecht einräumen bei allen, was wir sagen und tun.“ Schließlich ist „gesprochene und geschriebene Sprache das Mittel der Wahl, um uns klar vor Augen zu führen, was ist, wer Gott ist und was er tut“. Und so „betreten wir die völlig unbekannte Welt Gottes, eine Welt voller Schöpfungskraft und Erlösung, die sich über und neben uns endlos ausbreitet“, wenn wir Bibel lesen. Und so versteht er die Bibel als Lehrplan, der verfasst wurde, um ihn wie folgt zu lesen: „teilhabendes Lesen, bei dem wir die Worte aufnehmen, sodass sie Teil unseres Lebens werden, bei dem die Rhythmen und Bilder zu unseren Gebeten werden, zu gehorsamem Handeln, gelebter Liebe“.

 

Der Autor ist von Jesu Aussage aus Johannes 6,48-50 sowie dem Auftrag an den Apostel Johannes in Offenbarung 10,9 inspiriert. „Wenn wir unserer Identität treu bleiben wollen, wenn wir einen Lebenstext wollen, der uns in die Nähe Gottes führt, der uns vertraut hält mit seinem wahren Wesen und seinem Handeln, dann müssen wir dieses Buch (= Bibel) einfach essen“.

 

Im ersten großen Block stellt er die Aufforderung „Iss dieses Buch“ vor. Hierbei betont er die heilige Gemeinschaft mit der Heiligen Schrift. Dazu ist es nötig, die Bibel als Text der göttlichen Offenbarung kennenzulernen. Bereichernd in diesem Kontext war die Erkenntnis, dass Gott sich in der Dreieinigkeit beim Lesen offenbart. „Das Verständnis, dass die Bibel einen Autor hat, definiert es als personal – in den Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist. Weil es personal ist, ist es auch beziehungsrelevant, was bedeutete, dass für jedes Lesen/Hören der Heiligen Schrift auch personales, in Beziehung stehendes, teilhabendes Lesen/Hören nötig ist“. Anschließend betont Peterson die Erzählform der Bibel nicht außer Acht zu lassen, deren Zentrum Jesus Christus ist. Der Glaube lässt Gottes Wort zum Drehbuch meines Lebens werden. Daher übernimmt der Heilige Geist ab sofort die Rolle des Regisseurs. Hierzu ist es aber bedeutsam, dass wir das Drehbuch, die Bibel, lesen und hören, was der Geist uns zu sagen hat.

 

Im zweiten Teil stellt der Verfasser nun eine vergessen Methode vor, die Lectio divina. Dem Autor ist es bedeutsam zu betonen, dass es sich bei Lectio divina nicht um eine weitere Methode handelt, die Bibel zu lesen. „Sie ist die gepflegte, gut entwickelte Gewohnheit, den Text im Namen Jesu zu leben. Das ist der Weg, der einzige Weg dahin, die Heilige Schrift zu einer prägenden Kraft in der christlichen Kirche werden zu lassen und zu Salz und Sauerteig in der Welt“. Wie diese Art des Bibellesens aussieht, sollen ein paar Zitate verdeutlichen:

  • Lectio divina ist eine Art des Bibellesens, die dem entspricht, wie die Bibel, als Zeuge der Selbstoffenbarung Gottes, unserer christlichen Gemeinschaft dient.“
  • Lectio divina kultiviert diese persönliche, teilnehmende Aufmerksamkeit und trainiert uns in der Disziplin des richtigen Bibellesens.“
  • Lectio divina ist der wohlüberlegte und bewusste Entschluss, sich von einem Lesen zu trennen, das Jesus als tot behandelt, wie ehrfurchtsvoll dies auch immer sein mag, und sich ein Lesen anzueignen, das die Gesellschaft von Freunden sucht, die dem lebendigen Jesu zuhören, ihn begleiten und ihm folgen.“
  • Lectio divina ist das energische Bestreben der Gemeinschaft der Christen, die Bibel zu wässern, damit sie ihre eigene ursprüngliche Macht und Gestalt auch in der Hitze des Tages behält und ihr Kontext lange genug erhalten bleibt, um sich mit unserem Kontext zu verbinden oder Teil davon zu werden“.  
  • Lectio divina ist eine Lebensweise, die sich „gemäß der Bibel“ entwickelt“.
  • „Es ist die Aufgabe der lectio divina, diese gehörten Worte, Worte in Tinte geschrieben, nun wieder neu in Blut zu schreiben“.

Im siebten Kapitel blickt Peterson auf die vier Bestandteile der lectio divina. Sie umfasst: „lectio (wir lesen den Text), meditatio (wir meditieren den Text), oratio (wir beten den Text) und contemplatio (wir leben den Text). Wenn man die vier Elemente aufzählt, muss man sich darüber im Klaren sein, dass es sich nicht um eine reihenfolge handelt. Lesen (lectio) ist ein linearer Prozess, doch geistliches (divina) Lesen ist das nicht – jedes Element kann jederzeit die Fronstellung einnehmen“. In praktischer Weise zeigt der Verfasser den Inhalt der einzelnen Schritte und betont den sachgemäßen Umgang. Denjenigen von uns, die eventuell Vorbehalte haben, ist dieses Kapitel besonders ans Herz gelegt. Gerade im Bereich der Meditation zitiert Peterson den Bibellehrer Warren Wiersbe, der betont: „Fantasie schafft dir eine neue Welt; Vorstellungskraft verschafft dir Einblick in die alte Welt“.

 

Im dritten Teil widmet sich der Autor dem Thema der Bibelübersetzungen. Da er selber eine Bibelübersetzung herausgegeben hat, sind seine Erkenntnisse bereichernd, da er auf Bedeutungsvarianten und Sprachvielfalt eingeht. So kommt er auch auf seine „The Message“ Übersetzung und erläutert deren Entstehungsprozess, um dem Leser neu Appetit auf die Bibel zu machen.

 

Das Buch eignet sich für jeden Christen, der eventuell neue Impulse für seine tagtägliche Bibellese benötigt. Ob der Ansatz der lectio divina hilfreich ist, muss der Leser für sich selbst ehrausfinden. Doch allein schon der erste Block, der theologisch-philosophisch ist, wirkt sich bereichernd aus und macht Appetit auf Gottes Wort.

 

Eugene H. Peterson hat ein Buch vorgelegt, welches motiviert und inspiriert, sich dem teilhabenden Lesen von Gottes Wort neu zu öffnen. Seine Ausführungen lassen erahnen, welche Kraft in Gottes Wort steckt, damit Glauben im Alltag sichtbar und gelebt wird. „Lesen zu können ist ein großes Geschenk, wenn die Worte einen Platz in unserer Seele finden – wenn sie gegessen werden.“ 

 

Hier geht es zur Leseprobe


Das Buch: 

  • Peterson, H. E. (2014): Nimm und iss … Die Bibel als Lebensmittel, Neufeld Verlag, 224 Seiten, ISBN: 978-3-86256-045-5, Preis: 14,90€

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