Die Relevanzkrise des Christentums

Mit dem Buch „Unkaputtbar“ legt Christian A. Schwarz eine umfassende Forschungsarbeit vor. Die Ergebnisse stammen aus Gemeinden in 86 Ländern der Welt. Insgesamt wurden um die 75.000 Gemeinden rund um den Globus analysiert. Hinzukommen Befragungen von 2,3 Millionen Menschen. Mit diesem einzigartigen Daten-Pool ist es Schwarz gelungen, die Entwicklung Zehntausender Gemeinden über zwanzig Jahre hinweg zu verfolgen. Und weil Kirche eine soziologische Größe ist, ist sie Teil dieser Welt. Deshalb müssen praktische Reformen die theologische und empirische Ebene verbinden. „Oft geht es gar nicht so sehr darum, was verändert werden muss, sondern wie eine überzeugende Alternative aussehen sollte“ (S. 28).

 

Den Ausführungen des Autors liegen Gedanken des Theologen Dietrich Bonhoeffer zugrunde. „Alle Schriften Bonhoeffers befassen sich direkt oder indirekt mit der Frage, wie sich christlicher Glaube so ausdrücken lässt, dass Gott nicht als eine abstrakte Idee wahrgenommen wird, sondern als jemand, der sowohl von religiösen als auch von nicht-religiösen Menschen als aktiv, gestaltend und relevant erlebt werden kann“ (S. 7). Dabei hebt Schwarz drei Kernaspekte der bonhoefferschen Theologie hervor: 

1.     Gott als jenseitig mitten in unserem Leben, d. h. der Schlüssel zur Relevanz liegt darin, inmitten des eigenen Lebens der Transzendenz Gottes zu begegnen.

2.     Eine mündig gewordene Welt, in der es gelingen sollte, über Gott zu reden und Menschen zu helfen, der Transzendenz Gottes inmitten ihres Alltages zu begegnen.

3.     Kirche für Andere, die Menschen hilft, Christus zu erfahren, ohne dabei zuvor zum „Juden“ zu werden.

 

Die These, die der Forschungsarbeit die Richtung vorgibt, formuliert Schwarz so: „Ich bin überzeugt, dass die gegenwärtige Relevanzkrise des Christentums in direktem Zusammenhang mit dem Scheitern steht, das zu vermitteln, was Bonhoeffer als die Jenseitigkeit Gottes inmitten unseres Lebens bezeichnet hat“ (S. 9). Unter dem Begriff „Relevanzkrise“ versteht der Autor, die Veränderungen 

·       der Kommunikation durch Digitalisierung und Globalisierung,

·       der sozialen Sicherheit durch Bildung und Wohlstand,

·       des zunehmenden Individualismus und

·       durch Skepsis gegenüber heteronomen Gesellschaftsstrukturen sowie 

·       im Versagen des westlichen Christentums, das volle biblische Gottesbild zu kommunizieren.

 

 

Und so spricht das Buch darüber, wie die Kirche der Zukunft zu einer inspirierenden Umgebung für Lernprozesse werden kann. „Das Verlassen der eigenen Wohlfühlzone ist ein unerlässlicher Bestandteil eines jeden Wachstumsprozesses“ (S. 10). Diesen Prozess hat das Schwarz-Team mithilfe seiner Forschungsergebnisse entdeckt. Aus den Auswertungen hat man eine neue Form des Christentums herausgefunden, für die in verschiedenen Teilen der Welt bereits erste Hinweise aufleuchten. „In dieser Zeit der Transformation gibt es eine Reihe von Elementen, die noch nicht hinreichend verstanden worden sind, und einige dieser Elemente – die entscheidenden sogar – verweisen auf grundlegende biblische Erkenntnisse, die in der Vergangenheit vernachlässigt, ignoriert und sogar unterdrückt wurden“ (S. 13).  

 

Dem Autor ist dabei bewusst, dass seine Ausführungen sowohl Kritiker als auch Befürworter finden wird. So hat er auch das heutige Christentum in zwei Lager unterteilt: Progressive und Konservative. Schwarz spielt jedoch die beiden Gruppen nicht gegeneinander aus. Vielmehr legt er den Fokus auf seine empirischen Ergebnisse, denn alle Entdeckungen weisen für ihn in die gleiche Richtung. „Die Kirche benötigt weitaus mehr als ein Upgrade, das lediglich die äußere Form betrifft. Was wir brauchen, ist nicht weniger als eine Wiederentdeckung der christlichen DANN, wie sie in der Bibel zum Ausdruck gebracht wird“ (S. 16). Hierzu hat Schwarz zwölf Antworten auf die Relevanzkrise des Christentums formuliert.

 

Das Einführungskapitel sollte vor der weiteren Lektüre gelesen werden, da hier die Grundlagen für die anschließenden Schlussfolgerungen und Konsequenzen gelegt werden. Die einzelnen Kapitel bauen nicht chronologisch aufeinander auf. Sprachlich wurde weitestgehend auf Allgemeinverständlichkeit geachtet. Schließlich wurde das Buch „sowohl für aktive Christen […] als auch kirchendistanzierte Menschen“ (S. 9) geschrieben.

 

Mit seinen Antworten präsentiert Schwarz Impulse, um auf einige der drängendsten Fragen der Gesellschaft an die Christenheit hinzuweisen. Seine Ausführungen wollen dabei nicht als ein 12-Punkte-Plan des Gemeindebaus verstanden werden. Vielmehr betont Schwarz selbst, dass „Aussagen dieses Buches, die aus einer sorgfältigen Analyse der Bibel stammen, Erkenntnisse ans Tageslicht bringen, die in der Vergangenheit vernachlässigt oder sogar völlig ignoriert wurden“ (S. 10).

 

Auffällig ist, dass Schwarz ein Hang zur „Ostkirche“ hat. Gerade die Impulse über die „Energie Gottes“ und die „transpersonale Dimension Gottes“ (Kap. 4 u. 5) mögen für Gläubige aus dem „Westen“ befremdlich wirken. Schwarz möchte hier für eine Akzeptanz der ostkirchlichen Energielehre[i] um Verständnis werben, da er der Ansicht ist, dass dieses Konzept in der Bibel vorzufinden ist. Hierzu wird demnächst eine Trilogie des Autors veröffentlicht, die knapp 1000 Seiten umfasst, um Gottes Energie vorzustellen. „Diese Lehre hat im Christentum von Beginn an existiert, aber der westliche Flügel hat sie niemals angenommen“ (S. 53). Eine Schwäche der Beweisführung ist, dass Schwarz oftmals kommunikative Übersetzungen (Wilckens, Fotobibel, die Bibel) zu Rate zieht. Wortgetreue Übersetzungen wie Elberfelder, Schlachter oder Luther ‘84 meidet der Autor konsequent. Des Weiteren fehlt das, was die Reformatoren als solus christus formulierten. Schwarz geht sogar soweit zu schreiben, dass die „Perspektive der Komplementarität“ und die dadurch neu gewonnen „Gotteserfahrungen“ für einige als „Bekehrung“ gelten mag. 

 

Die weiteren Kapitel beleuchten Aspekte, die einer gegenseitigen Annäherung innerhalb des Christentums, der Denominationen und vor allem gegenüber gottfremden Menschen Ansätze aufzeigen möchte, um eine zukunftsorientierte Kirche zu gestalten. Auf Basis seiner Ergebnisse ermutigt er Gemeinden dazu, unterschiedliche geistliche Stile zu haben, um eine breitere Zuhörerschaft anzusprechen. Dazu ergänzend schlägt er den Prozess des gegenseitigen Lernens vor, um gegen das „Wir/Ihr“ vorzugehen. Dies mündet in eine Kommunikation auf Augenhöhe. Deshalb gilt es fundamentalistische Tendenzen auszutrocknen, um gleichzeitig die Hingabe der Menschen an die Bibel und ihr Engagement für die Weitergabe des Evangeliums zu stärken.

 

Die Ausführungen bieten dem Leser Impulse, um über Veränderung nachzudenken. Sie helfen sich selbst, das persönliche Bibelverständnis und die eigene Gemeinde bzw. Kirche zu reflektieren. Jedoch legt Schwarz viel Wert auf seine empirische Forschung. Zwar ist sie interessant, aufschlussreich, aber sie darf nicht über, sondern unter den biblischen Wahrheiten einsortiert werden. Und so fehlt den Ausführungen häufig ein biblischer Bezug. Insgesamt kann gesagt werden, dass, wer dem biblischen Grundsatz folgt „prüfet alles, das Gute behaltet“, der wird informative und interessante Anregungen erhalten, damit Christsein von heute auf die Bedürfnisse von Morgen reagieren kann. Jedoch, und dies schwächt die Gesamtwirkung, fehlt das Fundament: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens“ (Hebräer 4,12).


Das Buch:

  • Schwarz, S. (2020): Gott ist unkaputtbar. 12 Antowrten auf die Relevanzkrise des Christentums, Gerth Medien, 160 Seiten, ISBN: 978-3-95734-641-4, Preis: 18,00€

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